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Leo

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Modell Marbachshöhe

Ende der 1990er Jahre entwickelte die Wohnstadt mit dem Bund und der Stadt Kassel auf einem ehemaligen Kasernenareal ein vielbeachtetes Pionierprojekt für zukunftsorientierte Konversionen.

"Alle Beteiligten haben das Projekt von Anfang bis Ende als ihr Projekt begriffen." Für Urban Keller, damals zuständiger Stadtentwickler der Wohnstadt, stellt diese Einstellung bis heute den Schlüssel zum Erfolg auf der Marbachshöhe dar. Denn: Noch immer gilt die Kasseler Konversion auf 37 Hektar Militärareal aus den 1930er Jahren international als Vorzeigeprojekt, wenn es um die Frage geht, wie ein ganzes Stadtquartier mit gemischtem Nutzungskonzept zukunftsorientiert entwickelt werden kann.

Bürgerbeteiligung groß geschrieben

Heute eine Selbstverständlichkeit, aber damals als Einzelaspekt besonders hervorzuheben: die aktive Beteiligung aller Bürger:innen und der intensive Dialog mit allen Akteur:innen über den gesamten Planungsprozess hinweg. Jürgen Bluhm, Leiter des Regionalcenters Kassel der NHW: "Gemeinsam wurde auf der Marbachshöhe zum Beispiel im Bereich Wohnen ein Konzept entwickelt, das ein harmonisches Zusammenleben über rein nachbarschaftliche Kontakte hinaus befördern soll. Im Fokus: ältere Mieter:innen, aber auch alleinerziehende Frauen. Beide Gruppen profitieren, wenn andere Hausbewohner sie im Alltag unterstützen. Ebenso sollten Menschen mit Behinderungen hier ein Zuhause finden. Deshalb wurden mehrere Gebäudeteile barrierefrei gestaltet. Ein 'Mietercafé', Gemeinschaftsräume, darunter auch ein Partykeller, ein kleines Sportstudio sowie eine Gästewohnung für Besucher vervollständigen das Konzept."

Heiko Kannenberg, Leiter des Kulturzentrums Sandershaus im Kasseler Stadtteil Bettenhausen, und Mieter der ersten Stunde auf der Marbachshöhe (Foto: Uwe Zucchi) Heiko Kannenberg. Foto: Uwe Zucchi

Ich schätze die persönliche Nähe, durch die sich diese Gemeinschaft von den meisten anderen unterscheidet. Seit 2019 gehöre ich dem Mieterbeirat an. Unser fünfköpfiges Gremium tagt einmal im Monat und organisiert beispielsweise die Aufgabenverteilung bei der Gartenarbeit oder notwendige Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten. Bei den vielen gemeinsamen Festen auf der Marbachshöhe sorge ich mit meinem Wurzeln in der Kulturszene nicht selten für den musikalischen Rahmen – auch schon mal mit einem international zusammengesetzten Ensemble, das ganz dem gewünschten bunten Charakter eines lebendigen, multikulturellen Mehrgenerationen-Quartiers entspricht.

Masterplanung als Novum

Die Stadtplaner:innen waren aber nicht nur Projektsteuerer von der Ideenentwicklung bis zur Realisierung – sie hatten auch bereitwillig die Rolle der Wissensvermittler:innen zwischen einzelnen Interessen angenommen. Urban Keller: "Selbst den Namen Marbachshöhe haben wir kreiert: Marbachsgraben + Wilhelmshöhe = Marbachshöhe. Für ein neues Stadtviertel schien uns ein geeigneter Name zur Identifikation essenziell."

Urban Keller, seit 1992 Stadtplaner der Wohnstadt Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaugesellschaft Hessen mbH, hatte im Jahr 1994 die Projektleitung für eine städtebauliche Gesamtplanung der Hindenburg- und Wittich-Kaserne in Verbindung mit einem Realisierungskonzept übernommen. Dazu gehörte eine – zu dieser Zeit noch wenig praktizierte – Masterplanung. Keller: "Wir wollten keinesfalls die bis dahin übliche rein städtebauliche Rahmenplanung am grünen Tisch vornehmen. Unser Bestreben war es, von Beginn an alle relevanten Rahmenfaktoren sowie alle Beteiligten bei der Entwicklung des Gebietes einzubeziehen. Natürlich hatten wir festgelegte Ziele – aber auch die orientierten sich letztendlich an den Realisierungschancen." Einigkeit bestand in einem Punkt: Es sollte ein Stück Stadt mit lebendiger Vielfalt entstehen – auf einem Areal, wo Jahre zuvor noch militärischer Drill den Alltag bestimmt hatte. Eine hochwertige Quartiersentwicklung – das erhofften sich auch die Kommune und der Bund, aufgrund der richtungsweisenden Bedeutung des Projekts damals vertreten durch Bundesfinanzminister Theo Waigel.

Stadtbaurat Christof Nolda, Kassel (Foto: Harry Soremski) Christof Nolda. Foto: Harry Soremski

Die Kasernen-Konversion "Marbachshöhe" ist ein städtebauliches Erfolgsprojekt in Kassel. In einem kooperativen Prozess haben die Stadt und die BIMA sowohl in der Planung wie in der Umsetzung eng zusammengearbeitet. Gemeinsam mit einer ARGE aus WohnStadt und GWG konnte so ein lebendiges neues Stadtquartier mit 700 Wohnungen und vielen Arbeitsplätzen entwickelt werden. Dabei wurde bewusst auf eine durchgängige städtebauliche Neuordnung des Geländes verzichtet zu Gunsten eines weitgehenden Erhalts von Gebäuden und der Lage der Straßen. Diese behutsame Weiterentwicklung gibt dem durch große Vielfalt geprägten Stadtquartier eine besondere Identität. Aus drei Kasernen-Arealen wurde ein Stadtviertel mit über 160 einzelnen Grundstücken, die sich alle innerhalb des vorgegebenen Rahmens unterschiedlich entwickeln und verändern konnten. Mit der in der Masterplanung formulierten städtebaulichen Grundhaltung – insbesondere Kleinteiligkeit und Nutzungsflexibilität – hat die Stadt seinerzeit die Grundlage für diese erfolgreiche Entwicklung gelegt. Durch frühzeitige Integration der Nachnutzer, Koordination von Investoren sowie einen kommunikativen Planungsprozess mit Bürgerbeteiligung wurde ein breites Nutzungsspektrum erreicht. Deshalb ist die Marbachshöhe heute sehr vielfältig, hat eine gute Ausstattung an Einzelhandel, Sport-, Sozial- und Bildungsangeboten und Gewerbe – und all das in fast unmittelbarer Nähe zum ICE-Bahnhof Wilhelmshöhe.

So unterschiedlich wie möglich, so ähnlich wie nötig

Der Faktor Zeit definierte das Vorhaben maßgeblich: Eigentümer war der Bund – und dieser wollte zeitnah verkaufen, was einen gewissen Druck erzeugte. Zudem gab es ein buntes Kaleidoskop an Nutzungsanfragen – angefangen bei der Privatperson, die einen Überwinterungsplatz für das Segelboot suchte, bis hin zum Handelskonzern, der auf circa 50 Prozent des Gebietes einen Supermarkt mit Park- und Lagerflächen errichten wollte. Daher hatte das Konversionsteam der Wohnstadt schon früh eine Projekt-Hotline eingerichtet: Vorstellungen von Investoren und Interessenten wurden dort entgegengenommen und systematisiert. So konnten Nachfrager gezielt auf mögliche, für ihre jeweils angestrebte Nachnutzung geeigneten Gebäude und Flächen hingewiesen werden – ganz im Sinne des Planungsziels Nummer 1, der Nutzungsmischung: So unterschiedlich wie möglich, so ähnlich wie nötig. Viele der innovativen Unternehmen, Projekte und Initiativen, die auf der Marbachshöhe eine neue Heimat fanden, verfügen noch heute über Strahlkraft weit über das Quartier hinaus.

Fest stand von Anfang an auch, dass das Konversionsareal weder eine reine Wohnsiedlung noch ein reines Gewerbegebiet werden sollte. Angestrebt war eine gute Mischung aller Faktoren, die ein lebendiges und lebenswertes Stadtviertel ausmachen: Wohnen, Leben, Arbeiten. Keller: "Es war unser Bestreben, all das in verträglicher Koexistenz in dieses Gebiet zu bringen." Mehr noch – das Team der Wohnstadt wollte eine Tiefengliederung, die ihresgleichen sucht: "Wir wollten beispielsweise nicht nur öffentlich gefördertes Wohnen, nicht nur Eigentumswohnungen, sondern strebten auch hier einen Mix an." Genau deshalb finden sich heute in den Neu- und Altbauten auf der Marbachshöhe alle Eigentumsformen – von der öffentlich geförderten und frei finanzierten Mietwohnung über Eigenheimbau bis hin zur eigens neu gegründeten Wohnungsbaugenossenschaft.

Die "Seele der Marbachshöhe"

Gewünscht war hochwertiges Gewerbe, wohnverträglich in Bezug auf Lärm- und Abgas-Emissionen. Im Endausbau ergaben sich 680 Wohneinheiten, darunter auch eigene Wohnungsbauprojekte der Wohnstadt, die 1999 bezogen wurden, und 1.100 Arbeitsplätze. Keller: "Neben dem Technologie- und Gründerzentrum mit 550 Arbeitsplätzen kamen sukzessive Bildungseinrichtungen und weitere Firmen verschiedener Branchen hinzu. Die Sogwirkung war groß!" Und die gewünschte Mischung setzte sich durch: Neben einer Tischlerei hatte sich beispielsweise Wohnen angesiedelt, in eine Halle gegenüber, in der ursprünglich nur Akten eingelagert werden sollten, waren Künstler eingezogen. "Viele Initiativen und Projekte waren damals auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Das Potenzial der Marbachshöhe kam diesem Bedarf sehr entgegen", so Keller im Rückblick. "Hier durfte sich nun der Schwerpunkt, so etwas wie die 'Seele der Marbachshöhe' entwickeln. Diese Künstlerreihe war ein Paradiesvogel-Geschenk, genauso so, wie der dort später entstandene Kinder-Zirkus Rambazotti, der zur wirklichen Bereicherung wurde, oder auch der ökologische Wochenmarkt." Das Stadtviertel wurde schnell bekannt und immer vielfältiger. Zu ersten Mitinitiatoren vor Ort gehörten das Technologiezentrum, die Freie Schule, Kind und Kegel, die Rasselbande und die Jean-Paul-Schule.

Bestand erhalten und Freiräume schaffen

Auch das zweite Ziel der Masterplanung wurde umgesetzt: Der Bestand sollte weitestgehend erhalten, umgenutzt und weiterentwickelt werden. Keller: "Wir wollten kein Tabula rasa! Aus dem Gebiet – mit all seinen Restriktionen und Chancen – sollte sich ein unverwechselbares Stück Stadt mit Alleinstellungscharakter entwickeln." Das passte genau zum Planungsziel Nummer 3: einem abgestuften Konzept von nutzbaren privaten und öffentlichen Freiräumen – angefangen bei Gärten vor und hinter den entlang der Straße platzierten Häusern bis hin zu drei großen öffentlichen Plätzen: dem Wilhelm-Rohrbach-Platz mit seinen vielfältigen Nutzungsqualitäten, einem schmalen Park an der Frankenstraße oder dem Spielplatz. Wichtig hierbei war stets die Meinung der Bewohner:innen sowie die auf dieser Basis sorgfältig durchdachte Planung durch externe Büros. Es leben auf der Marbachshöhe viele junge Familien mit kleinen Kindern, auch der Anteil der Jugendlichen ist groß – das mussten die Stadtentwickler:innen schon damals bei der Gestaltung der Freiräume berücksichtigen. Die Arge Marbachshöhe, bestehend aus GWG und Wohnstadt, wurde für die qualitätsvolle Gestaltung und Umsetzung der Freiräume dieses neuen Quartiers sogar mit dem "Deutschen Spielraumpreis" ausgezeichnet.

Klaus Schaake, Fachjournalist, früherer Herausgeber der "StadtteilZeit Marbachshöhe", heute Herausgeber des "StadtZeit Kassel Magazins" (Foto: privat) Klaus Schaake. Foto: privat

Ich würde es mit Walter Schulz, einem ehemaligen Spiegel-Redakteur, halten, der in einem meiner Zeitzeugen-Interviews die Marbachshöhe als 'zivilisatorisches Musterexemplar des neuen Jahrtausends' charakterisiert hat. Dem kann man nur zustimmen: Auf der Marbachshöhe ist eine Vision Realität geworden! Dort bildet sich geopolitisch Weltgeschichte ab: Ohne Öffnung nach Osten, ohne Glasnost, ohne Wiedervereinigung hätte diese Entwicklung im Herzen Deutschlands, an infrastrukturell bevorzugter Stelle, nicht stattgefunden. Nie hätte es dann diesen einzigartigen städtebaulichen Ansatz gegeben, der von so vielen Aspekten geprägt ist: durchdachte Revitalisierung bestehender Gebäude und Flächen, Erhalt der Kleinteiligkeit, Heterogenität von Wohnformen und Zielgruppen, Multifunktionalität durch Ansiedlung von Wohnen, Gewerbe sowie innovativen Sozial- und Kultur-Projekten. Mein persönliches Fazit: Im Quartier Marbachshöhe ist die 'Rückeroberung' durch die Stadtgesellschaft gelungen! Bis heute führe ich internationale Besuchergruppen über das Gelände, um diese frühe Form einer vorbildlichen Konzeptvergabe am konkreten Objekt zu erläutern.