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Leo

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Bauen & Modernisieren Nachhaltigkeit

Circular Economy auf der Baustelle

Die Bauwirtschaft steht vor einer umfassenden Transformation. Neue Ansätze sind gefragt, damit eingesetzte Baumaterialien lange und möglichst ohne Qualitätsverlust in geschlossenen technischen oder biologischen Kreisläufen geführt werden können und nicht als Abfall enden. Das Prinzip der Circular Economy gilt dabei als Modell der Zukunft. Auch die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt setzt auf zirkuläres Wirtschaften – zunächst mit einem Pilotprojekt in Kelsterbach. Dort hat sie Hessens erstes Recyclinghaus realisiert.

Hoher Einsatz von Primärrohstoffen, Energieverbrauch, Abfallmengen, Flächenbedarf – dem Gebäudesektor kommt sowohl in der Herstellungs- und Bau-, als auch in der Nutzungsphase eine bedeutende Rolle im Klimaschutz zu. Um Ressourcen und CO2 einzusparen, ist ein sparsamer und nachhaltiger Einsatz unerlässlich, das Wiederverwenden von Baustoffen von zentraler Bedeutung. Immerhin entfallen 40 Prozent der CO2-Emissionen weltweit auf den Bausektor. Auch in Deutschland sorgen energieintensiv hergestellter Zement und Stahl für eine schlechte Klimabilanz der Immobilien. Hinzu kommen mineralische Abfälle, die mit 200 Millionen Tonnen pro Jahr das mengenmäßig größte Müllaufkommen darstellen, wie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz mitteilt. Sie unterteilen sich in Bauabfälle und industrielle Nebenprodukte aus Produktions- oder thermischen Prozessen. Die überwiegende Masse dieser Abfälle fällt bei Bau- und Abbruchtätigkeiten an. Dazu gehören insbesondere Boden und Steine sowie der beim Rückbau von Gebäuden und Bauwerken anfallende Bauschutt.

Cradle to Cradle im Fokus

Neben der Energie für Heizen und Kühlen der Gebäude – hierzulande für rund ein Drittel des Energieverbrauchs verantwortlich – spielt auch graue Energie bei der Planung eine zunehmend wichtige Rolle. An dieser Stelle tritt das Konzept der Kreislaufwirtschaft auf den Plan. Sie zielt darauf ab, Ressourcen zu schonen, die Wertschöpfung zu erhöhen und den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Konkret bedeutet das, dass die verbauten und verwendeten Materialien nach Abriss eines Gebäudes voneinander trennbar sind und anschließend recycelt werden. Die Rohstoffe können so wieder für neue Bauvorhaben oder bei der Sanierung von Bestandsimmobilien genutzt werden. Durch diesen Materialkreislauf werden Gebäude quasi zu einem Rohstofflager für künftige Generationen. Dabei wird zwischen einem biologischen und einem technischen Kreislauf unterschieden. Biologische Rohstoffe sind kompostierbar, beispielsweise Holz. Der technische Kreislauf umfasst solche, die nur begrenzt zur Verfügung stehen und durch Recycling als Sekundärrohstoffe erneut genutzt werden können – möglichst ohne Qualitätsverlust.

Das zirkuläre Wirtschaften steckt allerdings vielerorts noch in den Kinderschuhen. Obwohl mineralische Ersatzbaustoffe zu einem großen Teil wiederverwendet werden könnten, werden derzeit in Hessen nur rund 40 Prozent der Bau- und Abbruchabfälle recycelt. Sie kommen beispielsweise beim Bau von Straßen, Bahnstrecken, Lärm- und Sichtschutzwällen oder auch im Hochbau als Beimischung im Recycling-Beton zum Einsatz. Angesichts der politisch geforderten verstärkten Wohnbauaktivitäten in Deutschland ist es daher essenziell, das Recycling von Baustoffen zu fördern. Aufgrund weltweit gestörter Lieferketten sowie stark steigender Rohstoff- und Energiepreise infolge des Ukraine-Krieges sind die Kosten für Baustoffe rasant in die Höhe geschnellt. Recyceltes Material stellt somit sowohl ökologisch als auch ökonomisch eine echte Alternative dar.

 

Erfahrungen sammeln

Die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) geht mit gutem Beispiel voran. Im hessischen Kelsterbach hat sie durch Aufstockung eines Bestandsgebäudes rund 126 Quadratmeter zusätzlichen Wohnraum geschaffen. Dabei wurden 50 Prozent recycelte Materialien aus Baumaßnahmen eigener Projekte verwendet. Holzsparren für Holzrahmenbauwände, Fenster, Balkonverkleidungen, Dachabdichtungen und vieles mehr stammen aus Abriss- und Modernisierungsprojekten im Rhein-Main-Gebiet, die aus energetischer Sicht ertüchtigt werden mussten.

„Wir haben in Kelsterbach landesweit das erste Recycling-Objekt realisiert“, erklärt Robert Lotz, NHW-Fachbereichsleiter Modernisierung & Großinstandhaltung. „Insgesamt haben wir auf diese Weise elf Tonnen CO2 und 50 Prozent Müll vermeiden können.“ So wurden für die Ständer der Holzrahmenbauweise beispielsweise 30 Kubikmeter Holz aus Abbruchmaßnahmen genutzt. Das Anliefern, Lagern und Aufbereiten des Materials sei zwar zeitintensiv, dennoch wurden allein mit diesem Posten 25.000 Euro eingespart. „Wir haben eine deutliche Lernkurve verzeichnet, da sich hier eine große Kostenersparnis erzielen lässt. Wir stehen zwar erst am Anfang, wenn wir jedoch die Abläufe weiter optimieren, rechnet sich diese Bauweise. In Kelsterbach lagen wir mit 88 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche leicht unter den Kosten eines vergleichbaren Neubaus, obwohl wir nicht alle Potenziale ausgeschöpft haben. Auch waren hier noch höhere Kosten für eine vollständige Wärmepumpen-Versorgung und beispielsweise die Vorhangfassade enthalten. Wenn diese mit einer Gasversorgung und/oder einem herkömmlichen Wärmedämmverbundsystem egalisiert würden, lägen wir noch deutlich darunter“, fasst Lotz zusammen.

 

Weitere Vorhaben vor Umsetzung

„Für uns war es wichtig, dass die hier eingesetzten recycelten Baustoffe mit Gutachten und/oder durch Fachingenieur-Konzepte hinterlegt waren und so die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. In puncto Gewährleistung und Sicherheit gehen wir keine Kompromisse ein“, konstatiert NHW-Geschäftsführerin Monika Fontaine-Kretschmer. Das betraf auch Teile einer 500 Quadratmeter großen Dachfolie, die in Kelsterbach nach einer intensiven Inspektion erneut zum Einsatz kamen. Mit dieser Herangehensweise will die NHW einen möglichst hohen Anteil an wiederverwertbaren Materialien in allen Gewerken erreichen, Ressourcen schonen und Abfall verringern – damit nimmt sie deutschlandweit noch immer eine Vorreiterrolle ein. Und: Die Lernkurve steigt weiter. Im Zuge einer Modernisierungsmaßnahme startet noch in diesem Jahr eine weitere Recycling-Aufstockung im südhessischen Mörfelden-Walldorf. Dank optimierter Abläufe bei der Sammlung und Zusammenführung von Recycling-Baustoffen von eigenen NHW-Baustellen sowie verbesserter Logistik und Lagerhaltung der Materialien kommen diese künftig voraussichtlich auch bei Neubauprojekten zum Einsatz.

Doch warum wird erst jetzt eine Wiederverwendung von Materialien und Bauteilen in der wohnungswirtschaftlichen Praxis erprobt? Lotz erklärt: „Bisher hatten wir keine Lieferkettenprobleme. Material war ausreichend verfügbar, kostengünstig und das Thema graue Energie hat erst mit den hocheffizienten Gebäuden an Bedeutung gewonnen. Die betriebsbedingten Emissionen lassen sich in vielen Fällen nicht mehr signifikant senken – durch weniger Produktion und mehr Müllvermeidung aber schon“.

Kreislauffähige Gebäude errichten

Kreislaufwirtschaft rückt in der Unternehmensgruppe immer mehr in den Fokus. Bereits seit Jahren führt sie mit Fachingenieuren eigene Materialstudien durch und berücksichtigt dabei auch den Aspekt der Recycling-Fähigkeit, um den Cradle-to-Cradle-Ansatz direkt einzubinden. Schließlich ist die Auswahl der optimalen Baumaterialien unter der Prämisse Nachhaltigkeit äußerst komplex. „Hier kommt es darauf an, von Anfang an den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes im Blick zu behalten. Idealerweise wird bei der Errichtung die Rückbaufähigkeit gleich mit eingeplant, bestenfalls in einzelne Baustoffe sortenrein trennbar. Größtmögliche Homogenität in Bezug auf die eingebauten Baustoffe lautet hier die Devise, um qualitativ hochwertige Rezyklate zu generieren“, erläutert Fontaine-Kretschmer. „Denn auch im Hinblick auf die bereits realisierten und noch zu erwartenden Regularien wird die Recyclingfähigkeit von Produkten immer wichtiger – aktuell beispielsweise auch die EU-Taxonomie betreffend.“ Auch hinsichtlich der Förderbedingungen im Rahmen des Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude (QNG) – unter Berücksichtigung der grauen Emissionen – spielt wiederverwertbares Baumaterial eine zentrale Rolle.

Weitere politische Bestrebungen in Sachen klimafreundliches Bauen: Die Ampel-Regierung hatte schon im Koalitionsvertrag die Einführung eines Ressourcenpasses für Gebäude formuliert. Auf EU-Ebene sollen mit der überarbeiteten Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden zudem sogenannte Gebäuderenovierungspässe eingeführt werden, die klimarelevante Angaben enthalten.

Neue länderübergreifende Regelung

Trotz dieser positiven Entwicklungen gibt es jedoch noch weitere Hürden für den flächendeckenden Einsatz von rezyklierten Baustoffen. Denn: Eine konsequent getrennte Sammlung für sortenreine Abfallströme auf den Baustellen findet bislang kaum statt, zudem werden die anfallenden Mengen nur ungenügend erfasst. Umso bedeutender ist das Einrichten regionaler Baustoff- und Materialbörsen. Erschwerend kommt hinzu, dass jedes der 16 Bundesländer bislang über eigene Landesverordnungen den Umgang mit Bau- und Abbruchabfällen festlegte, gleiches gilt für die Wiederverwendung von Bauteilen. Erfreuliches Novum: Am 1. August 2023 ist die Mantelverordnung in Kraft getreten. Sie regelt erstmals bundeseinheitliche und rechtsverbindliche Anforderungen an Herstellung und Einbau mineralischer Ersatzbaustoffe – dazu zählen auch Recycling-Baustoffe aus Bau- und Abbruchabfällen.

Darüber hinaus gelten nun auch für die Beseitigung von enthaltenen Schadstoffen deutschlandweit die gleichen Vorgaben. Die Mantelverordnung besteht aus mehreren Teilen – Kernstücke sind die neu eingeführte Ersatzbaustoffverordnung sowie die Neufassung der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung. Parallel wurden die Deponie- und die Gewerbeabfallverordnung angepasst. Diese neuen Standards sorgen dafür, dass Bauherren und -unternehmen nun qualitätsgeprüfte Ersatzbaustoffe einfach und auch rechtssicher verwenden können.