"Die Klimawende wird verdammt weh tun!"
In der Initiative Wohnen.2050 helfen sich Unternehmen, bis 2045 klimaneutral zu werden. Hohe Baukosten, gestiegene Zinsen und verschlechterte Förderbedingungen bremsen nun, aber das allein ist es nicht, weshalb Felix Lüter glaubt, dass das Ziel unrealistisch ist. „Wir müssen uns alle ehrlich machen“, sagt der geschäftsführende Vorstand der Initiative und Nachhaltigkeitsbeauftragte der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW).
Immobilien Zeitung: Schreiben die in der Initiative organisierten Unternehmen ihre Klimastrategien – also ihre Pläne, wie sie bis 2045 klimaneutral werden wollen – derzeit um?
Felix Lüter: Die meisten sind noch dabei, ihre Klimastrategie zu erstellen. Eine Umfrage hat ergeben, dass ein Viertel unserer Partner ihre Strategie bis Ende vergangenen Jahres erarbeitet hatte. Weitere 40% wollen das bis Jahresende, die meisten anderen bis Ende 2023 tun. Grundsätzlich meinen wir: Nach der Strategie ist vor der Strategie. Kein Unternehmen kann über 22 Jahre eine seriöse Planung mit Zielzahlen erstellen. Nach ein, zwei Jahren Umsetzung muss geschaut werden, ob es so läuft wie prognostiziert oder ob etwas anzupassen ist. Also ja, einige Unternehmen werden ihre Klimastrategie überarbeiten.
IZ: Hat die NHW ihre Strategie an die neuen Rahmenbedingungen angepasst?
Lüter: Ja. Wir stellen sie in ein paar Wochen vor. Aber ich kann jetzt schon sagen: Zwischen dem zu Jahresbeginn Erarbeiteten und dem, was wir vorlegen werden, liegen Welten.
IZ: Inwiefern?
Lüter: Das fehlende Geld ist ein Problem. Die NHW hat die Vollmodernisierungsquote in den letzten drei Jahren stark erhöht. Nun sind die KfW-Zuschüsse weggefallen und die Baukosten explodiert, und es stellt sich die Frage, ob wir nicht etwas weglassen und uns nur auf energetische Maßnahmen fokussieren können. Wir überlegen, einzelne Maßnahmen vorzuziehen, zum Beispiel das Dämmen oberster Geschossdecken oder den Einbau von Wärmepumpen. Aber bei vielen Gebäuden, die wir in den nächsten Jahren vor der Brust haben, geht das nicht. Da gibt es Brandschutzauflagen, Elektrokabel, die auszutauschen sind, Dinge, die nicht auf die Klimastrategie einzahlen, aber gemacht werden müssen, wenn man in größerem Stil ans Gebäude rangeht. Letztlich können wir erst einmal weniger Gebäude anpacken, und damit werden wir unsere Klimaziele vermutlich später erreichen.
IZ: Bislang hatte die NHW das Ziel, den CO2- Ausstoß des Bestandes bis 2050 auf jährlich rund 7 kg/qm zu drücken. Null war das ja auch schon nicht. Welchen Wert peilt sie jetzt an?
Lüter: Im Jahr 2020 haben die damals der Initiative Wohnen.2050 angeschlossenen Unternehmen einen Zielkorridor für 2050, später vorgezogen auf 2045, festgelegt: jährlich 0 bis 12 kg CO2/qm. Das unterstellt ja schon, dass Klimaneutralität bis dahin schwer zu schaffen ist. Ich kenne auch kein Unternehmen, das sagt, wir schaffen bis 2045 die Null. Vor den großen Veränderungen in diesem Jahr lagen die besten Zielmarken um die 5 kg CO2/qm. Die NHW geht unter den aktuellen Rahmenbedingungen von 17 kg aus. Werden die Bedingungen in einigen Jahren besser, können wir wieder auf den alten Zielpfad zurück und für 2045 rund 11 kg anpeilen.
IZ: Was braucht es für die 11 kg?
Lüter: Vor allem eine KfW-Zuschussförderung für energetische Modernisierungen und nur noch moderat steigende Baupreise.
Nachhaltigkeit und Klimaschutz bei der NHW
Eine zielorientierte Nachhaltigkeitsstrategie auf Konzernebene ist wesentlicher Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Unser Anspruch ist es, sie koordiniert und geschäftsfeldübergreifend umzusetzen. Zu diesem Zweck haben wir ein Nachhaltigkeitsmanagement installiert und unsere Prinzipien zu den wesentlichen Themen definiert.
IZ: Die Bundesministerien für Wirtschaft und Bau haben im Sommer Zahlen vorgelegt, wonach der Gebäudesektor das Etappenziel für 2030 erreichen kann. Was meinen Sie?
Lüter (lacht): Im Moment jedenfalls fahren die Unternehmen ihre Investitionen in Neubau und Modernisierung zurück. Dass die Zuschussförderung der KfW nach nur einem Jahr gestrichen wurde, ist hart. Die allererste Zinsverbilligung der KfW war noch attraktiv. Mittlerweile ist da überhaupt nichts mehr attraktiv. Die Bundesregierung betont, dass sie jährlich 13 Mrd. bis 14 Mrd. Euro für das Umkrempeln des Immobiliensektors zur Verfügung stellt. Ja, das stimmt, und die Summe wurde auch gefordert, aber eben als Zuschussförderung. Natürlich schont die Darlehensvariante den Bundeshaushalt stärker. Aber da kriegt man ein bisschen Angst. Wenn jetzt schon das Geld fehlt, wie sollen wir bis 2045 klimaneutral werden?
IZ: Sie halten das also für unrealistisch?
Lüter: Ein Jahr wie dieses und auch 2023, in dem die Zuschussförderung ja sicher nicht wieder eingeführt wird, sind verlorene Jahre auf einen Zeitraum von nur noch 22 Jahren. Und jedes Jahr, das wir verlieren, ist kaum mehr einzuholen. Also ja, ich halte das für unrealistisch. Aber die Hände in den Schoss zu legen ist keine Option. Wir spielen kein Spiel mit 2045 als Ziel, dann game over und dann schauen wir, ob wir gewonnen oder verloren haben. Sondern es geht weiter. Je länger, desto teurer. Insofern bleibt die Botschaft: Wir müssen so schnell wie möglich auf Null kommen.
Die Hände in den Schoss zu legen ist keine Option. Wir spielen kein Spiel mit 2045 als Ziel, dann game over und dann schauen wir, ob wir gewonnen oder verloren haben. Sondern es geht weiter. Je länger, desto teurer. Insofern bleibt die Botschaft: Wir müssen so schnell wie möglich auf Null kommen.
IZ: Haben Politik und Wirtschaft mitsamt der Immobilienwirtschaft die letzten Jahre in verbummelt – Jahre, in denen allein aufgrund des niedrigen Zinsniveaus gut hätte investiert werden können?
Lüter: Da ist sicher was dran. Die Wissenschaft sagt seit mehr als 40 Jahren, wir müssen dekarbonisieren. Dafür braucht es immer Riesensummen. Aber hätte es die Diskussion, die wir heute führen, vor zehn, 20 Jahren gegeben, wäre zumindest eines besser gewesen: Wir hätten mehr Zeit gehabt. Nur wäre das damals in der Gesellschaft kaum auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Klimakrise war zu weit weg, die Dramatik nicht klar.
IZ: Wichtigen Politikern wie der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel war sie klar.
Lüter: Aber wenn die Politik keine klaren Ansagen macht und sich Hersteller, Finanzierer und Wohnungsunternehmen nicht darauf einstellen können, fragen sich alle: Warum sollen wir jetzt etwas tun? Die Joseph-Stiftung in Bamberg hat in den Achtzigerjahren eine Wärmepumpe in einem Mehrfamilienhaus im Bestand eingebaut. Damals gab es nur welche für Ein- und Zweifamilienhäuser, das war also eine Pionierleistung. Aber wer vor zehn, 20 Jahren versucht hätte, flächendeckend über den Bestand vorzupreschen, wäre gnadenlos gescheitert.
IZ: Wie reagiert die IW.2050 auf die Probleme? Sie hat es sich ja zur Aufgabe gemacht, „Pioniergruppen für besonders relevante Einzelthemen“ zu gründen.
Lüter: Wir haben uns zwei Jahre lang mit dem Thema Klimaneutralität in der Betriebsphase beschäftigt. Jetzt gehen wir ergänzend auf ein komplett neues: graue Emissionen. Die müssen Unternehmen berücksichtigen, wenn sie für Neubauten das Nachhaltigkeitssiegel QNG bekommen wollen – das ja wiederum die Voraussetzung für KfW-Fördermittel ist. Deshalb und weil viel graue Energie im Rohbau steckt, machen wir die Unternehmen jetzt auch mit Blick auf Neubau fit.
IZ: Wie?
Lüter: Eine Pioniergruppe mit acht, neun Unternehmen hat unter der Leitung von Daniel Schleifer von Vonovia zunächst Grundsätzliches erarbeitet: Was graue Energie ist, warum sich Wohnungsunternehmen damit befassen müssen, wie sie vorgehen können und wie sie Ökobilanzen optimieren können. Zum Glück müssen wir in diesem Fall kein Tool selbst erfinden, sondern es gibt eins, das eLCA-Tool der Bundesregierung für das QNG. Wir bieten nun Grundlagenseminare an und Schulungen zum Tool. Zudem berücksichtigen wir, dass größere Unternehmen eine Berichtspflicht zu den in der EU-Taxonomie geforderten Nachhaltigkeitskriterien haben. Die Bauverantwortlichen schauen bislang vor allem auf die Baugesetzgebung, aber sie müssen ihren Blick weiten. Neben dem Einsatz von Leichtbeton, Recyclingbeton oder Recyclingstahl heißt das, den Anteil von Holzbau im Neubau zu erhöhen. Holzbau ist also ein weiteres Thema auf unserer Liste.
IZ: Ich sehe darauf noch viel mehr Themen, darunter Personalentwicklung für den Klimaschutz, Nutzerverhalten, Sektorkoppelung. „Themen, die einer baldigen Lösung bedürfen“, steht da.
Lüter: Wir müssen vieles zügig und zeitgleich anpacken. Das Management von Klimarisiken wollen wir im nächsten Jahr aufgreifen. Denn die Unternehmen sollten nicht nur auf Klimaschutz im Gebäudebetrieb achten, sondern auch auf die Folgen von Hitze im Sommer oder von Starkregen, die wir jetzt spüren. Ein Beispiel: Um die Baukosten zu senken, haben viele Unternehmen Rollladenkästen aus der Standardbaubeschreibung gestrichen. Gegen die Hitze braucht es diesen Außenschutz aber unbedingt wieder.
IZ: Welche weiteren Themen sind geplant?
Lüter: Das Thema Personalentwicklung für Klimaschutz treibt unserer Gründungspartner EBZ Business School voran. Wir bereiten Pioniergruppen vor, die sich mit der Finanzierbarkeit von Klimaschutz beschäftigen.
IZ: Warum zwei Gruppen für ein Thema?
Lüter: Wir unterscheiden nach Unternehmensgröße. Die großen werden in einem vertraulichen Kreis agieren, weil sie sensibler sind, wenn es darum geht, sich in die Bücher schauen zu lassen. Am Ende sollen die Unternehmen aber wieder voneinander lernen.
IZ: Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Lüter: Man muss ihr zugute halten, dass sie zumindest versucht, die Klimawende hinzubekommen. Aber da ist viel Hektik und Stückwerk, wo es ein Gesamtkonzept bräuchte. Die Regierung und wir alle müssen uns ehrlich machen. Die Klimawende wird verdammt weh tun! Nehmen wir das Geld: Die KfW- Zuschussvariante für energetische Maßnahmen wurde mit dem Verweis auf knappe Mittel gestrichen. Dabei zeigen die 30 Mrd. Euro, die der Bund für den Wiederaufbau der überfluteten Städte im Ahrtal zur Verfügung stellt, wie teuer einzelne Extremwetterereignisse sein können. Und die werden die neue Realität. Viel sinnvoller wäre es, dauerhaft große Summen in die Prävention zu investieren.
IZ: Was heißt also für sie: ehrlich machen?
Lüter: Wissen zusammenwerfen, schauen, wo es nicht läuft, aber laufen muss. Prioritäten setzen. Das muss übergreifend zwischen Politik, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft gelingen. Ich habe einmal einen Vortrag von Graeme Maxton, dem ehemaligen Generalsekretär des Club of Rome, gehört. Er ist der Meinung, dass die Klimakatastrophe nur vermieden werden kann, wenn getan wird, was die USA vor dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg gemacht haben: Dort wurde fast sozialistische Planwirtschaft betrieben, um die Wirtschaft auf Waffenproduktion umzurüsten. Jetzt müssten das die Staaten tun, um alle Wirtschaftssektoren zu defossilisieren. Aber das sehe ich nicht. Und da kann einem schon himmelangst werden.
IZ: Herr Lüter, vielen Dank fürs Gespräch.
Das Interview für die Immobilienzeitung führte Christine Rose.