Innovationsschmiede hubitation
Vier Wände und ein Dach – das ist Wohnen schon lange nicht mehr. Heute wollen wir in Smart Homes leben und regeln unseren Wohnalltag per App. Damit ist die Digitalisierung als das große Thema der nächsten Jahre gesetzt. Doch wie integriert man sie in ein Wohnungsunternehmen? Die NHW hat vor zwei Jahren den Startup-Accelerator hubitation gegründet – eine Entscheidung, die Früchte trägt.
Schon wieder streikt der Drucker. Jetzt findet man entweder nette Kollegen, die helfen, oder wartet, bis ein Techniker das Gerät wieder zum Laufen bringt. In den Büros der NHW nehmen die Mitarbeitenden das jetzt selbst in die Hand. Man öffnet die App seines Handys und scannt einen auf den Drucker aufgeklebten QR-Code. Die App greift im Hintergrund auf eine virtuelle Bedienungsanleitung zu. Im nächsten Schritt richtet man die Kamera auf das Problemgerät und erfährt über das Display, wie der Toner gewechselt oder ein Papierstau behoben werden kann. Virtuelle Anleitung und Realität sind verschmolzen – Augmented Reality nennt sich das Prinzip. Zum Einsatz kam es durch die Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Startup sphira, einer von zwei Siegern des hubitation Contest 2019.
Der NHW-Unternehmensbereich IT, Projekte & Innovation hat das Pilotprojekt mit sphira im Anschluss an den Wettbewerb umgesetzt, als Testlauf wurden die Bedienungsanleitungen für die Etagendrucker erstellt. Das eigentliche Potenzial liegt jedoch im Wohnungsbestand. Hier sollen in Zukunft zum Beispiel Hausmeister, Techniker oder Servicemitarbeitende unterstützt werden, etwa bei der Gerätewartung oder der Erstellung von Bedienungsanleitungen für die Mieter. Aber auch im Alltag anderer Unternehmensbereiche, wie etwa als virtuelle Hilfe für kommunale Antragsteller bei den Förderprogrammen der Stadtentwicklung, ist ein Einsatz der Technik denkbar. „Das Projekt mit sphira zeigt stellvertretend, wie viel Innovationspotenzial die Digitalisierung für die NHW bereithält, wenn wir sie als Chance begreifen und zugleich mit einer realistischen Erwartungshaltung an die Nutzung herangehen“, erklärt IT-Leiter Klaus Straub.
Das Projekt mit sphira zeigt stellvertretend, wie viel Innovationspotenzial die Digitalisierung für die NHW bereithält, [..]
Beschleuniger für die Digitalisierung im Unternehmen
Zu verdanken hat die Unternehmensgruppe diesen Digitalisierungsschub auch ihrer hauseigenen Innovationsschmiede hubitation. Als Startup-Accelerator soll sie so etwas wie ein weiterer Beschleuniger für die Digitalisierung im Unternehmen sein. Der Name ist eine Wortkreation aus den englischen Begriffen „hub“ und „habitation“ und fasst das Hauptziel zusammen, die alte Welt der Wohnungswirtschaft und die neue Startup-Kultur zusammenzubringen. „hubitation ist ein Bindeglied, ein Intermediär, das beide Sprachen spricht und beide Kulturen kennt“, beschreibt Dr. Simone Planinsek die NHW-Marke. Sie ist heute die Hauptverantwortliche, neudeutsch Head of hubitation, und hat den Startup-Accelerator vor zwei Jahren gemeinsam mit IT-Chef Straub und NHW-Geschäftsführer Dr. Thomas Hain ins Leben gerufen. „Damals war die Unternehmensgruppe offen für neue Ideen aber nur schwer in der Lage, diese intern zu kultivieren. Damit unterschied sie sich nicht vom Rest der Branche. Im Gegensatz zur IT-Branche hat die Wohnungswirtschaft enorm lange Investitionszyklen und zeigt wenig Dynamik. Jetzt bekommen wir sehr viel Input von außen und können diesen für uns nutzen. Es wirkt wie eine Frischzellenkur“, sagt Planinsek.
Jetzt bekommen wir sehr viel Input von außen und können diesen für uns nutzen. Es wirkt wie eine Frischzellenkur
hubitation lebt von seinem Win-Win-Prinzip. Die Startups bereichern mit ihren innovativen Ideen die Wohnungswirtschaft. Im Gegenzug stellt diese den Startups ein Netzwerk aus Machern und Managern des Milliardenmarkts Wohnungswirtschaft zur Verfügung. Als Mentoren unterstützen die Geschäftsführung der NHW und andere hochkarätige Branchenexperten die jungen Kreativen auf ihrem Karriereabschnitt. Größen der Wohnungswirtschaft wie GdW-Präsident Axel Gedaschko und Dr. Axel Tausendpfund, Vorstand des VdW südwest, konnten als Mentoren gewonnen werden.
hubitation Contest: Höhepunkt der Beschleunigungsarbeit
Netzwerke waren schon immer wichtig, in der Startup-Welt sind sie jedoch elementar. Damit ein konstruktiver Austausch und Pilotprojekte überhaupt entstehen können, braucht hubitation eine Netzwerkerin, die perfekte Aufgabe für Christine Braun. Sie hat in der Startup-Welt Berufserfahrung gesammelt, ist kontaktfreudig und seit Mai 2019 als Head of Innovation Teil des hubitation-Teams: „Wir gehen dorthin, wo die Startups sind, sprechen ihre Sprache und begegnen ihnen auf Augenhöhe“, beschreibt Braun ihren Job. In den letzten Jahren hat sie eine Datenbank mit vielen hundert Startups mitaufgebaut, zu einem Großteil bestehen persönliche Kontakte.
Höhepunkt des hubitation-Jahres ist der hubitation Contest. Hier werden im spielerischen Wettstreit neue Ideen entwickelt. Die Startups bewerben sich mit ihren Vorschlägen zum innovativen Wohnen und entwickeln diese mit den Entscheidungsträgern der NHW weiter. Eine Woche vor dem Finale, in der Startup Week, entstehen konkrete Pilotprojekte, die in eine Präsentation am Finaltag einfließen. An dessen Ende kürt eine interdisziplinär besetzte Jury die besten Ideen. Aus dem Contest sind bisher 15 Finalisten und neben sphira noch drei weitere Gewinner hervorgegangen, insgesamt konnten zwölf Pilotprojekte im Unternehmen anlaufen.
Von der Kultur der Startups lernen
Die Pilotprojekte bieten der NHW gleichzeitig auch die Chance, einen Kulturwandel im Unternehmen voranzubringen. Die IT erweist sich dabei perfekte Schnittstelle zwischen Startup-Kultur und den gewachsenen Strukturen in Hessens größtem Wohnungsunternehmen: „Die IT ist ähnlich aufgestellt wie Startups. Wir haben auch einen starken Kundenfocus und nutzen modernste Technologien als Lösungen. Es existiert eine ähnliche, positive Fehlerkultur und auch wir gehen mit vorhandenen Ressourcen bewusst um“, erklärt IT-Leiter Straub.
Eine Kulturtechnik der Startup-Welt, die in der NHW etabliert werden soll: Agilität. Bei diesem Managementansatz werden neue Ideen und Verfahren zunächst in Pilotprojekten erprobt und mittels Feedbackschleifen immer weiter optimiert. „Das hat den Vorteil, dass wir schneller in die Umsetzung kommen und frühzeitig erkennen, wo noch Handlungsbedarf besteht“, sagt Klaus Straub. Das mache agiles Management auch zunehmend für andere Bereiche interessant.
Am Anfang herrschte bei Teilen der Mitarbeiterschaft Skepsis gegenüber dem agilen Arbeiten. Daher wird die neue Agilität auch mit unkonventionellen Verfahren eingeübt. Christine Braun nutzte ihre Kontakte zum Nürnberger Startup „Agile Kitchen“, einem der Bewerber aus dem hubitation Contest 2019. Ende Februar 2020 hat die NHW deren agiles Lernformat getestet. Die Franken kamen mit mobilen Kochelementen in die Konzernzentrale am Frankfurter Schaumainkai. In drei verschiedenen Durchgängen konnten die Mitarbeitenden ihre Kollegen sowie die Trainer von ihren Kochkünsten überzeugen und gleichzeitig auf spielerische Weise agiles Denken direkt anwenden.
Auch andere sollen profitieren
Durch die Digitalisierung vorangetriebene Themen überrollen gerade die gesamte Wohnungswirtschaft: App-Lösungen, schlüssellose Zugangssysteme oder Virtual-Reality-Lösungen bereiten vielen Unternehmen immer noch Kopfzerbrechen. Da alle vor ähnlichen Herausforderungen stehen und lernen müssen, entschied man sich, das Wissen und die Erfahrung von hubitation nicht zu horten, sondern zu teilen – und schuf hubitation associates. „Als solche werden Wohnungsunternehmen, die dieselben Werte leben wie wir, Teil unseres Netzwerks. Wir stehen hier unseren Partnern bei Fragen und für Projekte zur Verfügung. So können wir es auch für andere einfacher machen, einen Zugang zu Digitalisierungsthemen finden“, sagt Simone Planinsek. Die VOLKSWOHNUNG Karlsruhe und die Baugenossenschaft Langen eG waren die ersten Partner, zuletzt ist die meravis Immobiliengruppe dem Netzwerk beigetreten. Regelmäßig tauschen sie sich mit den anderen Associates und dem hubitation-Team aus: über eigene Erfahrungen im Unternehmen, die Zusammenarbeit mit Startups oder welcher Kontakt zu einem geplanten Projekt passen könnte. Am Ende, wenn die Digitalisierung kein Prozess mehr, sondern Teil der DNA der Unternehmen ist, macht sich hubitation dann nicht selbst überflüssig? Simone Planinsek lacht: „Das ist das Ziel: Die Unternehmen so durchlässig für neue Produkte und Ideen zu machen, dass wir hubitation irgendwann nicht mehr brauchen, sondern uns die eigene Innovationskraft in die Zukunft trägt.“